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OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN
BESCHLUSS
In der Familiensache
betreffend den Umgang mit
(...)
weitere Beteiligte:
(...) Antragstellerin im Umgangsverfahren,
Verfahrensbevollmächtigte: (...)
2. Antragsgegnerin im Umgangsverfahren,
Verfahrensbevollmächtigter: (...)
Antragsteller und Beschwerdegegner im Vergütungsfestsetzungsverfahren,
3. Land Hessen, vertreten durch den Bezirksrevisor bei dem Landgericht Marburg,
Universitätsstraße 48, 35037 Marburg,
Aktenzeichen: 2a 443/21,
Beschwerdeführer im Vergütungsfestsetzungsverfahren,
hier: Beschwerde gegen die Festsetzung der Vergütung nach § 55 RVG
hat der 7. Familiensenat in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch
die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Dr. Lies-Benachib, den Richter am
Oberlandesgericht Gimbernat Jonas und die Richterin am Oberlandesgericht
Dr. Recknagel am 3. Februar 2022
beschlossen:
Die Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 3 gegen den Beschluss des
Amtsgerichts - Familiengericht - Biedenkopf vom 2. November 2021 wird
zurückgewiesen.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei; außergerichtliche Kosten
werden nicht erstattet.
Gründe:
l.
Die Antragstellerin ist die Großmutter der beiden betroffenen Kinder und hat im zu
grundeliegenden Umgangsverfahren die Regelung von persönlichen Kontakten mit
den Kindern in Abwesenheit der Antragsgegnerin und Kindesmutter begehrt. Das
Amtsgericht hat daraufhin nach § 155 Abs. 2 FamFG einen Anhörungs- und Erörterungstermin anberaumt und den Kindern eine Verfahrensbeiständin bestellt. Die Verfahrensbeiständin hat mit beiden Beteiligten Gespräche geführt und dabei eine
außergerichtliche Lösung herbeiführen können. Vor diesem Hintergrund bat einer der beiden Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin das Amtsgericht um Terminsaufhebung und unterbreitete einen schriftlichen Vergleichsvorschlag. Im weiteren Verlauf wurde - nach Abstimmung mit dem Jugendamt - von der Antragstellerseite ein modifizierter Vergleichsvorschlag unterbreitet, den die Antragsgegnerin Schließlich über ihren Verfahrensbevollmächtigten angenommen hat. Sie hat sich ebenfalls für eine Terminsaufhebung und eine schriftliche Verfahrensbeendigung ausgesprochen. Auch die Verfahrensbeiständin hat sich mit dem modifizierten Vergleichsvorschlag einverstanden erklärt. Das Amtsgericht stellte den Vergleichsschluss durch Beschluss vom 20. Januar 2021 fest, billigte den Umgangsvergleich gerichtlich und traf eine Kostenentscheidung. Zudem hat es der Antragsgegnerin
Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten bewilligt und den Verfahrenswert auf 3.000 € festgesetzt. Ein Anhörungs- und Erörterungstermin fand nicht mehr statt.
Der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin hat sodann die Festsetzung einer aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung in Höhe von 860,97 € beantragt. Dabei hat er neben der Verfahrens- und Vergleichsgebühr auch eine Terminsgebühr (Nr. 3104 des Vergütungsverzeichnisses in Anlage 1 zum RVG) geltend gemacht. Gegen die ohne Terminsgebühr erfolgte Festsetzung der Vergütung in Höhe von (nur) 573,94 € hat er Erinnerung eingelegt. Nachdem die hierfür funktionell zuständige Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (Rechtspflegerin) der Erinnerung nicht abgeholfen hatte, wurde die Akte der Abteilungsrichterin des Amtsgerichts vorgelegt.
Diese hat der Erinnerung durch Beschluss vom 2. Juni 2021 mit eingehender Begründung abgeholfen und die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung antragsgemäß auf 860,97 € festgesetzt. Auf die Beschlussgründe wird Bezug genommen.
Hiergegen hat sich der weitere Beteiligte zu 3 (im Folgenden: Staatskasse) mit einem als „Beschwerde“ bezeichneten Rechtsmittel vom 10. Juni 2021 gewandt. Durch Beschluss vom 26. Juli 2021 hat die Abteilungsrichterin des Amtsgerichts der „Beschwerde“ nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Die Einzelrichterin des Senats hat diese Vorlageverfügung des Amtsgerichts durch Beschluss vom 13. September 2021 aufgehoben und die Sache zur Entscheidung über das als Erinnerung auszulegende Rechtsmittel der Staatskasse vom 10. Juni 2021 an das Amtsgericht zurückverwiesen. Durch Beschluss vom 2. November 2021 hat die Abteilungsrichterin des Amtsgerichts die Erinnerung der Staatskasse gegen den Beschluss vom 2. Juni 2021 u.a. unter Bezugnahme auf die dortigen Ausführungen zurückgewiesen.
Gegen diesen ihr am 9. November 2021 zugestellten Beschluss wendet sich die Staatskasse mit ihrer am 11. November 2021 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde. Die Abteilungsrichterin des Amtsgerichts hat der Beschwerde durch Be
schluss vom 6. Dezember 2021 nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Die nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1,33 Abs. 8 Satz 1 RVG grundsätzlich zur Entscheidung berufene Einzelrichterin des Senats hat das Verfahren gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 2 RVG dem Senat in voller Besetzung zur Entscheidung übertragen,
weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Beteiligten sind vorab darauf hingewiesen worden, dass diese Vorgehensweise beabsichtigt ist. Eine Stellungnahme hierzu ist nicht erfolgt.
II.
Die nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG zulässige, insbesondere nach § 33 Abs. 3 Satz 3, Abs. 7 RVG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Staatskasse hat in der Sache keinen Erfolg. Denn das Amtsgericht ist zu Recht da
von ausgegangen, dass der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin nach § 55 RVG aus der Staatskasse auch eine 1,2-Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 des Vergütungsverzeichnisses in Anlage 1 zum RVG (im Folgenden: VV RVG) in Höhe
von 241,20 € zuzüglich Umsatzsteuer (Nr. 7008 W RVG) verlangen kann.
Gemäß der Vorbemerkung 3 Abs. 3 Satz 1 VV RVG entsteht die Terminsgebühr grundsätzlich sowohl für die Wahrnehmung von gerichtlichen Terminen als auch für die Wahrnehmung von außergerichtlichen Terminen und Besprechungen, wenn
nichts anderes bestimmt ist. Derartige Termine, an denen der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin teilgenommen hätte, haben vorliegend nicht stattgefunden. Nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG entsteht eine Terminsgebühr aber auch
dann, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien oder Beteiligten oder gemäß § 307 oder § 495a ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren mit
oder ohne Mitwirkung des Gerichts ein Vertrag im Sinne der Nr. 1000 VV RVG geschlossen wird oder eine Erledigung der Rechtssache im Sinne der Nummer 1002 eingetreten ist. Ob in Kindschaftsverfahren nach § 155 Abs. 1 FamFG, die im Einverständnis mit den Beteiligten ohne einen Erörterungstermin nach § 155 Abs. 2 FamFG durch einen schriftlichen Vergleich (oder ggf. durch dessen gerichtliche Bil
ligung nach § 156 Abs. 2 FamFG) beendet wurden, eine Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 W RVG entsteht, ist allerdings umstritten.
1. Die inzwischen überwiegend vertretene Auffassung lehnt die Entstehung einer
fiktiven Terminsgebühr bei einer ohne Erörterungstermin erfolgten Beendigung von Kindschaftsverfahren ab. Der Wortlaut der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG sei eindeutig und betreffe nur eine mündliche Verhandlung, nicht aber einen Erörterungs
termin. Diese Begriffe könnten nicht gleichgestellt werden (OLG München, Beschluss vom 14. Januar2012-11 WF 126/12-juris Rn. 11 f.; OLG Celle, Beschluss vom 13. September 2011 - 10 WF 227/11 - juris Rn. 13 ff., OLG Celle, Beschluss
vom 14. Dezember 2009 - 10 WF 358/00 - juris Rn. 9 f.). Jedenfalls seit der Gesetzgeber mit dem am 1. August 2013 in Kraft getretenen 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz zwar die Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG, nicht aber die Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 W RVG geändert habe, müsse davon ausgegangen werden, dass er die Entstehung einer Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG für solche Verfahren habe ausschließen wollen, in denen ein Erörterungstermin (und gerade keine mündliche Verhandlung) vorgeschrieben ist (OLG München, Beschluss vom 20. September 2019 -11 WF 666/19-juris Rn. 7 ff.; OLG Hamburg, Beschluss vom 27. August 2019 - 2 WF 83/19 - juris Rn. 12; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25. Juli 2018 - 6 WF 74/18 - juris Rn. 5 ff.; OLG Hamm, Beschluss vom 11. Juli 2017 - 6 WF 137/17-juris Rn. 13 f.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. April 2014-5 WF 181/13 - juris Rn. 15 f.; OLG Schleswig, Beschluss vom 12. Februar 2014 - 15 WF 410/13 - juris Rn. 7 ff.; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 25. Auflage 2021, RVG VV 3103 Rn. 36 f.; Schneider/Dürbeck, Gebühren in Familiensachen, 2. Auflage 2021, § 15 Rn. 911).
2. Die (insbesondere vor Inkrafttreten des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vertretene) Gegenauffassung stellt darauf ab, dass für die in § 155 Abs. 1 FamFG genannten Kindschaftsverfahren die Vorschrift des § 155 Abs. 2 FamFG zwingend einen Erörterungstermin vorschreibt, weshalb eine fiktive Terminsgebühr in diesen Verfahren nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG auch dann entstehen soll, wenn im Einverständnis mit den Beteiligten von der Durchführung eines solchen Termins ab gesehen wurde. Eine zu stark am Wortlaut der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG haftende Auslegung werde dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht gerecht, die einen Anreiz für eine einvernehmliche Konfliktlösung bieten solle (OLG Rostock, Beschluss vom 22. September 2011 - 10 WF 170/11 -juris Rn. 9 und 13; OLG Stuttgart, Beschluss vom 14. September 2010-3 WF 133/10 —juris Rn. 8f.; OLG Schleswig, Beschluss vom 30. März 2007 - 15 WF 41/07 - juris Rn. 4 ff.; Toussaint, Kostenrecht, 51. Auflage 2021, VV 3104 RVG Rn. 28 FamFG).
3. Die letztgenannte Auffassung ist - auch unter Berücksichtigung der Änderungen des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes - zutreffend.
a) Dies erhellen die Entstehungsgeschichte der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 W RVG und der Vorbemerkung 3 Abs. 3 Satz 1 W RVG sowie der Sinn und Zweck dieser Vorschriften.
aa) Zunächst ist festzuhalten, dass das seinerzeit geltende Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) erstmals in seiner ab dem 12. Juli 2008 in Kraft getretenen Fassung in § 50e Abs. 2 FGG (BGBl. I 2008, 1188, 1189)
einen verpflichtenden Erörterungstermin für (bestimmte) Kindschaftsverfahren statuiert hat (vgl. BT-Drucksache 16/6815, S. 5 und 16). Zuvor war lediglich (in bestimmten Fällen) eine (teilweise zwingende) persönliche Anhörung der Kindeseltern
bzw. Beteiligten (§ 50a Abs. 1 FGG bzw. § 52 Abs. 1 FGG), nicht aber ein zwingender Erörterungstermin vorgesehen. Bis zu dieser Änderung des FGG bestand also gar keine Veranlassung, in Kindschaftsverfahren mit Blick auf einen Erörterungstermin über eine fiktive Terminsgebühr nachzudenken. Eine Änderung des RVG ist seinerzeit nicht erfolgt.
Im Zuge der Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist die Regelung des § 50e Abs. 2 FGG in die seit dem 1. September 2009 geltende Vorschrift des § 155 Abs. 2 FamFG (BGBl. I 2008, 2586, 2617) übernommen worden (vgl. BT-Drucksache 16/6308, S. 39 und 236).
Zwar beinhaltete das umfangreiche FGG-Reformgesetz in Art. 47 Abs. 6 (BGBl. I 2008, 2586, 2716 ff.) auch - überwiegend redaktionelle - Änderungen des RVG. So wurden in der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG nach den Wörtern „mit den Parteien“
die Wörter „oder Beteiligten“ eingefügt (vgl. BGBl. I 2008, 2586, 2718). Dabei handelte es sich aber lediglich um eine wegen der neuen Begrifflichkeiten im FamFG notwendige Ergänzung (vgl. BT-Drucksache 16/6308, S. 342).
Mangels gegenteiliger Hinweise in den Gesetzesbegründungen ist davon auszugehen, dass anlässlich der Einführung des § 50e Abs. 2 FGG schlicht übersehen wurde, dass nunmehr auch in dieser Verfahrensordnung ein verpflichtender Ge
richtstermin in Form des Erörterungstermins vorgesehen ist. Anlässlich der FGG- Reform bestand dann keine unmittelbare Veranlassung, die Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 W RVG auch hinsichtlich der mündlichen Verhandlung in den Blick zu nehmen, weil sich insoweit keine Änderung in der Terminologie des FamFG gegenüber dem FGG ergeben hatte.
Mit einem solchen Verständnis im Sinne eines Redaktionsversehens wird dem Gesetzgeber - anders als Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 25. Auflage 2021, RVG
VV 3103 Rn. 36 meint - auch keineswegs eine „gehörige Portion Unfähigkeit unter
stellt“. Vielmehr ist es durchaus nachzuvollziehen, dass bei der Einführung einer
Vorschrift, die im Zusammenhang mit weiteren Maßnahmen zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls geschaffen wurde,
die Notwendigkeit der Änderung von - damit nicht unmittelbar im Zusammenhang
stehenden - kosten rechtlichen Vorschriften übersehen wurde.
Im Übrigen muss man - worauf das Amtsgericht zutreffend hinweist - konstatieren,
dass der Gesetzgeber auch an anderen Stellen nicht immer trennscharf zwischen
„mündlicher Verhandlung“ und „Erörterung“ unterscheidet. So ist beispielsweise
nach § 54 Abs. 2 FamFG bei einstweiligen Anordnungen in Familiensachen, die
ohne mündliche Verhandlung ergangen sind, auf Antrag aufgrund mündlicher Verhandlung erneut zu entscheiden. Es ist unbestritten, dass diese Vorschrift in Kindschaftsverfahren dahingehend auszulegen ist, dass auch die dort lediglich vorgese
hene mündliche Erörterung umfasst ist (vgl. Keidel/Giers, FamFG, 20. Auflage 2020,
§ 54 Rn. 13). Insofern kann der Begriff der mündlichen Verhandlung im Rahmen des
FamFG durchaus auch als Oberbegriff für die Termine in beiden Verfahrensarten
(Verfahren in Ehe- und Familienstreitsachen einerseits und der freiwilligen Gerichtsbarkeit andererseits) verstanden werden.
bb) Entgegen der überwiegend vertretenen Auffassung ist das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 23. Juli 2013 (BGBL I 2013, 2585, 2694) für die vorliegende Streitfrage unergiebig. Es offenbart allenfalls (nochmals) die vom Gesetzge
ber mit der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG verfolgte Intention, in Verfahren, in denen
ein (von allen Beteiligten wahrzunehmender) Termin erzwungen werden kann, eine
fiktive Terminsgebühr entstehen zu lassen, wenn das Verfahren im Einvernehmen
mit den Beteiligten ohne den sonst erforderlichen Gerichtstermin beendet wird. Dem
gegenüber ist den Gesetzesmaterialien gerade nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die fiktive Terminsgebühr auf Verfahren beschränken wollte, für die eine mündliche Verhandlung im technischen Sinne vorgeschrieben ist.
(1) Bis zum 31. Juli 2013 hatte die Vorbemerkung 3 Abs. 3 Satz 1 VV RVG folgenden Wortlaut:
„Die Terminsgebühr entsteht für die Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs oder Beweisaufnahmetermin oder die Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termins oder die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen auch ohne Beteiligung des Gerichts; dies gilt nicht für Besprechungen mit dem Auftraggeber.“
Durch das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz hat die Vorschrift zum 1. August
2013 folgenden Wortlaut erhalten:
„Die Terminsgebühr entsteht sowohl für die Wahrnehmung von gerichtlichen Terminen als auch für die Wahrnehmung von außergerichtlichen Terminen und Besprechungen, wenn nichts anderes bestimmt ist. Sie entsteht jedoch nicht für die Wahrnehmung eines gerichtlichen Termins nur zur Verkündung einer Entscheidung. Die Gebühr für außergerichtliche Termine und Besprechungen entsteht für
1. die Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termins und
2. die Mitwirkung an Besprechungen, die auf die Vermeidung oder Erledigung des
Verfahrens gerichtet sind; dies gilt nicht für Besprechungen mit dem Auftraggeber.“
Diese Neufassung sollte ausweislich der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucksache
17/11471 [neu], S. 274) zweierlei bewirken. Zum einen sollten auch Anhörungster
mine unter die Regelung für die Terminsgebühr fallen, zum anderen sollte klargestellt werden, dass die Terminsgebührfürdie Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten außergerichtlichen Besprechungen unab
hängig davon entsteht, ob für das gerichtliche Verfahren eine „mündliche Verhandlung“ vorgeschrieben ist. Dass die ursprüngliche Formulierung der „Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin“ entfallen ist und
nunmehr (nur noch) von der Wahrnehmung von gerichtlichen Terminen die Rede ist, stellt damit keine Verengung, sondern vielmehr eine Erweiterung auf sämtliche gerichtlichen Termine (unabhängig von ihrer konkreten Art) dar.
(2) Der Wortlaut der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG blieb durch das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz unverändert; lediglich die Nummern 2 und 3 dieser Vorschrift haben Änderungen erfahren. Hinsichtlich dieser Änderungen ist in der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucksache 17/11471 [neu], S. 274) ausgeführt, dass die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr konsequent auf die Fälle beschränkt werden soll, „in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen kann, weil nur in diesem Fall eine Steuerungswirkung notwendig ist. Im Fall des Gerichtsbescheids sowohl im Verfahren nach der VwGO als auch im Verfahren nach dem SGG liegt es allein in der Entscheidungsbefugnis des Gerichts, das Verfahren ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu beenden. Die Beteiligten können in beiden Verfahrensarten nur dann eine mündliche Verhandlung beantragen, wenn gegen den Gerichtsbescheid kein Rechtsmittel gegeben ist. Das Entstehen der Terminsgebühr, ohne dass ein Termin stattgefunden hat, soll daher auf diese Fälle beschränkt werden. Die Verweisung auf § 105 SGG soll - wie schon die Verweisung auf § 84 VwGO - präzisiert werden.“ Der Gesetzgeber wollte somit (nur) in Fällen, in denen zwingend eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist, wenn nicht ein Vergleich geschlossen wird (oder eine sonstige Erledigung eintritt), eine fiktive Terminsgebühr entstehen lassen. Damit sollte der Gefahr begegnet werden, dass ein Verfahrensbevollmächtigter auf einen Gerichtstermin besteht und erst in dem Termin einen Vergleich schließt, um die Terminsgebühr zu erlangen.
(3) Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber sich in der - vermuteten - Kenntnis der - angeblich - bereits lange vor Inkrafttreten des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes diskutierten Streitfrage nicht zu einer weitergehenden Fassung oder
einer Änderung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG veranlasst gesehen hat, schließen die Vertreter der überwiegenden Auffassung nun, dass der Gesetzgeber bewusst zwischen einer mündlichen Verhandlung und einem Erörterungstermin unterschieden habe und nur bei Ersterer eine fiktive Terminsgebühr entstehe solle (vgl. OLG München, Beschluss vom 20. September 2019 - 11 WF 666/19 - juris Rn. 14 ff.; OLG Hamburg, Beschluss vom 27. August 2019 - 2 WF 83/19 - juris Rn. 12; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25. Juli 2018-6 WF 74/18 - juris Rn. 8; OLG Hamm, Beschluss vom 11. Juli 2017 - 6 WF 137/17 - juris Rn. 14; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. April 2014-5 WF 181/13-juris Rn. 16; OLG Schleswig, Beschluss vom 12. Februar 2014- 15 WF 410/13 - juris Rn. 9 f.; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe,
RVG, 25. Auflage 2021, RVG W 3103 Rn. 36 f.; Schneider/Dürbeck, Gebühren in Familiensachen, 2. Auflage 2021, § 15 Rn. 911).
Dieser Schlussfolgerung ist entgegenzutreten, weil sie durch nichts in der Gesetzesbegründung zum 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz belegt ist. Richtig ist zwar, dass dem Gesetzgeber die Unterscheidung zwischen verschiedenen gerichtlichen Terminen bewusst war (z.B. Verhandlungs-, Erörterungs-, Anhörungs- und Beweisaufnahmetermin) und er diese Unterscheidung in der Vorbemerkung 3 Abs. 3 Satz 1 VV RVG aufgegeben hat, um sämtliche Gerichtstermine unter die Regelung für die
Terminsgebühr fallen zu lassen. Aus der gleichzeitigen „Untätigkeit“ des Gesetzgebers im Hinblick auf die Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG abzuleiten, dass er dadurch eindeutig zum Ausdruck gebracht habe, die fiktive Terminsgebühr auf Verfahren mit
einer zwingenden mündlichen Verhandlung im technischen Sinn beschränken zu wollen, erscheint indes nicht überzeugend.
(a) Es ist schon nicht ansatzweise ersichtlich, dass der Gesetzgeber die vorliegende
Streitfrage überhaupt im Blick hatte, als er im 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz für Verfahren nach der VwGO bzw. dem SGG eine Klarstellung vorgenommen hat. Jene Verfahrensordnungen sehen grundsätzlich eine mündliche Verhandlung
und keinen Erörterungstermin vor, so dass es auch vor diesem Hintergrund nicht
zwingend notwendig war, sich über die Unterscheidung Gedanken zu machen.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die konkrete Auslegungsfrage mitnichten
bereits lange vor Inkrafttreten des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes streitig
diskutiert wurde. Denn bis zum Inkrafttreten des § 50e FGG am 12. Juli 2008 bestand die Problematik hinsichtlich der zwingenden Erörterungstermine in Kindschaftsverfahren gar nicht. In der Folgezeit hat sich das OLG Celle (Beschluss vom
14. Dezember 2009 - 10 WF 358/00 - juris Rn. 9 f.) gegen das Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr ausgesprochen, während das OLG Stuttgart (Beschluss vom 14. September 2010 - 3 WF 133/10 - juris Rn. 8 f.) die Anwendbarkeit der Nr. 3104
Abs. 1 Nr. 1 VV RVG bejaht hat. Es folgten Entscheidungen des OLG Celle (Beschluss vom 13. September 2011-10 WF 227/11 - juris Rn. 13 ff.) und des OLG Rostock (Beschluss vom 22. September 2011-10 WF 170/11 - juris Rn. 9 und 13). Somit ist die Problematik hinsichtlich der zwingenden Erörterungstermine in Kindschaftsverfahren erst in den Jahren 2010 bzw. 2011 virulent geworden. Wenn man nun weiter berücksichtigt, dass der ursprüngliche Regierungsentwurf des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes dem Bundestag am 31. August 2012 zugeleitet wurde (vgl. BR-Drucksache 517/12, S. 1), und angesichts des Umfangs dieses Entwurfs (ca. 450 Seiten) unterstellt, dass die Arbeiten daran längere Zeit in Anspruch genommen haben, sind erhebliche Zweifel angebracht, ob die vorliegende Streitfrage tatsächlich im Fokus des Gesetzgebers gestanden hat.
(b) Selbst wenn man aber annähme, dass der Gesetzgeber die Streitfrage bei der Schaffung des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz im Blick hatte, käme seiner „Untätigkeit“ hinsichtlich der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 W RVG kein Erklärungswert zu. Zwar ist grundsätzlich denkbar, dass der Gesetzgeber eine in der Rechtsprechung
etablierte Auslegung einer Vorschrift dadurch (konkludent) billigt, dass er die Vorschrift in Kenntnis der etablierten Auslegung nicht ändert (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 5. Juli 2019 - 2 BvR 167/18 - juris Rn. 41). Allerdings sind vor
Inkrafttreten des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes unterschiedliche Meinungen zur Auslegung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 W RVG vertreten worden. Es wurden sowohl am Wortlaut als auch am Sinn und Zweck der Vorschrift orientierte Auslegungen befürwortet. Wie nun aus dem Schweigen des Gesetzgebers zwingend zu folgern sein soll, dass der Gesetzgeber der am Wortlaut orientierten Ausle
gung den Vorzug habe geben wollen, erschließt sich dem Senat nicht. Vielmehr ließe sich aus dem Schweigen ebenso ableiten, dass der Gesetzgeber der am Sinn und Zweck der Vorschrift orientierten Auslegung nicht habe entgegentreten wollen. Letztlich lässt sich bei einem reinen Schweigen des Gesetzgebers zu einer kontrovers diskutierten Auslegungsfrage weder in die eine noch in die andere Richtung eine klare gesetzgeberische Entscheidung ableiten.
Daher kann das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz entgegen der überwiegend vertretenen Auffassung nicht als Beleg dafür herangezogen werden, dass der Gesetzgeber die fiktive Terminsgebühr auf Verfahren beschränken wollte, für die eine
mündliche Verhandlung im technischen Sinne vorgeschrieben ist. Vielmehr ist der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucksache 17/11471 [neu], S. 274) die gesetzgeberische Intention zu entnehmen, in all jenen Verfahren eine fiktive Terminsgebühr entstehen zu lassen, in denen - wie bei Kindschaftssachen nach § 155 FamFG - ein (von allen Beteiligten wahrzunehmender) Gerichtstermin erzwungen werden kann.
cc) Gegen die Anwendung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 W RVG auf Erörterungstermine
wird von den einigen Vertretern der überwiegenden Auffassung auch das Argument
ins Feld geführt, dass ein erheblicher Unterschied zwischen einer mündlichen Verhandlung und einem Erörterungstermin bestehe, weil bei Verfahren mit mündlichen Verhandlung nur dasjenige Grundlage der Entscheidung sein dürfe, was auch Ge
genstand der Verhandlung gewesen sei, während bei Verfahren mit Erörterungstermin der gesamte Akteninhalt zur Grundlage der Entscheidung gemacht werden müsse, weshalb auch keine Versäumnisentscheidung ergehen könne (vgl. OLG
München, Beschluss vom 20. September 2019 - 11 WF 666/19 -juris Rn. 14; OLG
Hamm, Beschluss vom 11. Juli 2017 - 6 WF 137/17 -juris Rn. 14; OLG Karlsruhe,
Beschluss vom 10. April 2014-5 WF 181/13- juris Rn. 16; Gerold/Schmidt/Müller-
Rabe, RVG, 25. Auflage 2021, RVG VV 3103 Rn. 36). Was dieser (zutreffende) Un
terschied jedoch mit der vom Gesetzgeber durch die Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG
bezweckten Steuerungswirkung (vgl. BT-Drucksache 17/11471 [neu], S. 274) zu tun
haben soll, erschließt sich nicht.
dd) Auch der Einwand, bei der Durchführung eines Erörterungstermins nach § 155
Abs. 2 FamFG handele es sich (anders z.B. bei § 128 Abs. 2 ZPO) nicht um einen
Verfahrensschritt, der der Disposition der Beteiligten unterliege bzw. einem einver
nehmlichen Verzicht der Beteiligten zugänglich sei (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss
vom 10. März 2017 - 4 WF 42/17 - juris Rn. 10), verfängt nicht. Die Verfahrensgestaltung mag in Verfahren nach § 155 FamFG vielleicht nicht vorrangig der Disposition der Beteiligten unterliegen. Fest steht aber, dass jedenfalls in Umgangsverfah
ren - wie dem vorliegenden - ein Vergleichsschluss und die anschließende gerichtliche Billigung nach § 156 Abs. 2 FamFG zu einer Verfahrensbeendigung führen können, ohne dass ein Erörterungstermin durchgeführt wurde. In einem solchen Fall
haben die Beteiligten durchaus daran mitgewirkt, dass der Erörterungstermin nicht
stattfinden musste. Sie hätten aber gleichermaßen auf einer Durchführung des Termins bestehen (und erst in diesem Termin einen Vergleich schließen) können, weshalb nach der ratio legis der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG das Entstehen einer
fiktiven Terminsgebühr gerechtfertigt ist.
ee) Nach alledem ist die Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG ihrem Sinn und Zweck nach
dahingehend auszulegen, dass eine fiktive Terminsgebühr in Verfahren entsteht, in denen ein (von allen Beteiligten wahrzunehmender) Gerichtstermin erzwungen werden kann, wenn nicht ein Vergleich geschlossen wird oder eine sonstige Erledigung
eintritt. Dies ist bei Kindschaftsverfahren nach § 155 Abs. 1 FamFG der Fall, für die nach § 155 Abs. 2 FamFG ein obligatorischer Erörterungstermin vorgesehen ist.
b) Der Senat verkennt dabei nicht, dass eine an Sinn und Zweck orientierte Gesetzesauslegung nicht in Betracht zu ziehen ist, wenn im Gesetzeswortlaut eindeutig ein anderer Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck kommt. Denn die Auslegung fin
det ihre Grenze dort, wo sie zum Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde (BVerfG, Beschluss vom 27. Januar
2015 - 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10 - juris Rn. 132 mwN; BGH, Beschluss vom
15. Mai 2000 - XII ZB 427/19 - juris Rn. 37 f. mwN). Indessen ist der Wortlaut der
Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 W RVG nach dem Verständnis des Senats angesichts der
auch sonst nicht immer stringenten Wortwahl (vgl. dazu oben die zu Ziffer 3. a) aa)
am Ende erfolgten Ausführungen) nicht derartig eindeutig, dass er auf einen entgegenstehenden gesetzgeberischen Willen schließen ließe. Ein solcher Wille geht - wie ebenfalls bereits dargelegt - auch nicht aus den Gesetzesmaterialien hervor.
Vielmehr liegt nach der Überzeugung des Senats eine ungewollte Regelungslücke bzw. eine Regelungsungenauigkeit vor, die durch eine am Sinn und Zweck der Vorschrift orientierte Auslegung behoben werden kann und muss.
Der Kostenausspruch folgt aus § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.
Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht eröffnet (vgl. §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 Satz 3, Abs. 6 Satz 1 RVG). Hieran würde auch eine etwaige Rechtsmittelzulassung nichts ändern (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2010 - XII ZB 75/10 -
juris Rn. 4 f.).
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