Urteil des Ersten Senats des BVerfG vom 15.
Dezember 1983 auf die mündliche Verhandlung vom 18. und 19. Oktober 1983 -
Az: 1 BvR 209, 269 BVerfGE 65, 1 - Volkszählung
1. Unter den Bedingungen der modernen Datenverarbeitung wird der Schutz des
Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe
seiner persönlichen Daten von dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art.
2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG umfaßt. Das Grundrecht
gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über
die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.
2. Einschränkungen dieses Rechts auf "informationelle Selbstbestimmung"
sind nur im überwiegenden Allgemeininteresse zulässig. Sie bedürfen einer
verfassungsgemäßen gesetzlichen Grundlage, die dem rechtsstaatlichen Gebot
der Normenklarheit entsprechen muß. Bei seinen Regelungen hat der
Gesetzgeber ferner den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Auch
hat er organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen,
welche der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts
entgegenwirken.
3. Bei den verfassungsrechtlichen Anforderungen an derartige Einschränkungen ist zu unterscheiden zwischen personenbezogenen Daten, die in individualisierter, nicht anonymer Form erhoben und verarbeitet werden,
und solchen, die für statistische Zwecke bestimmt sind.
Bei der Datenerhebung für statistische Zwecke kann eine enge und konkrete
Zweckbindung der Daten nicht verlangt werden. Der Informationserhebung und
Informationsverarbeitung müssen aber innerhalb des Informationssystems zum
Ausgleich entsprechende Schranken gegenüberstehen.
4. Das Erhebungsprogramm des Volkszählungsgesetzes 1983 (§ 2 Nr. 1 bis 7,
§§ 3 bis 5) führt nicht zu einer mit der Würde des Menschen unvereinbaren
Registrierung und Katalogisierung der Persönlichkeit; es entspricht auch den
Geboten der Normenklarheit und der Verhältnismäßigkeit. Indessen bedarf es
zur Sicherung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ergänzender
verfahrensrechtlicher Vorkehrungen für Durchführung und Organisation der
Datenerhebung.
5. Die in § 9 Abs. 1 bis 3 des Volkszählungsgesetzes 1983 vorgesehenen
Übermittlungsregelungen (unter anderem Melderegisterabgleich) verstoßen
gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Die Weitergabe zu
wissenschaftlichen Zwecken (§ 9 Abs. 4 VZG 1983 ) ist mit dem Grundgesetz
vereinbar.
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